Prof. Dr. Michael Welker: Religiosität in der Pandemie ist trostbedürftig und hassgefährdet

Vortrag von Professor Dr. Michael Welker

In Situationen weltweiter Unsicherheit und Bedrängnis sind Nüchternheit und eine neue Konzentration auf die realistische Kraftquelle des göttlichen Geistes unverzichtbar. Dafür plädiert der evangelische Theologe Professor Dr. Michael Welker in seinem Vortrag, den er am 22. 9.2020 online gehalten hat. Eingeladen hatten die Evangelische Akademie im Rheinland und die Melanchthon-Akademie Köln.

Religiosität in der Pandemie ist trostbedürftig und hassgefährdet - Vortrag Prof. Michael Welker

„Schwere globale Krisen bedrohen das natürliche das geistige und das geistliche Leben. Die Corona-Pandemie lähmt die ganze Welt. Fast 30 Millionen bisher bestätigte Infektionen und knapp eine Million dem Corona-Virus zugerechnete Todesopfer sind schon heute zu beklagen. Unermesslich ist das körperliche und seelische Leiden, das Ausmaß von Angst und Sorgen um das eigene Leben und um das Leben der Mitmenschen. brutal sind die Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben durch die Pandemie. Berufliche Existenzen werden vernichtet, Lebenspläne und Entwicklungspläne müssen aufgegeben werden. Ratlosigkeit, Trauer und Verzweiflung breiten sich aus. Ratlosigkeit, Trauer und Verzweiflung – all das wird verstärkt durch andere weltweite Krisen, etwa die ökologische Verheerung, in diesen Tagen dramatisch sichtbar in Gestalt der gigantischen Waldbrände in Kalifornien. Mit der -Ausbreitung von Ratlosigkeit, Trauer und Verzweiflung geht die Ausbreitung von Hass und Hetze einher. Individuelle Gruppierungen, Bewegungen und Parteien reagieren auf die Ohnmacht-Empfindungen, in dem sie Feindbilder und aggressive Stimmungen erzeugen, die die Protestierenden zusammenschweißen sollen. Dass die Ausweitung von Stimmungen des Hasses jedoch nicht stabilisierend wirkt, sondern zerrüttet, wird dabei nicht gesehen, obwohl es die Geschichte es uns zeigt.“ Mit dieser Beschreibung der aktuellen Welt-Situation eröffnet der renommierte evangelische Theologe Professor Dr. Michael Welker seinen Vortrag.
Die naive Rede von der Allmacht Gottes ist irreführend

Die Schöpfung sei also nicht ausschließlich herrlich und paradiesisch, auch wenn die Bibel voller Dankbarkeit für Gottes „gutes Regieren“ ist und der Schöpfungsbericht festhält, dass Gott die Schöpfung „gut“, sogar „sehr gut“ nennt. Professor Welker wendet sich gegen eine leichtfertige und naive theologische Rede von der Allmacht Gottes und plädiert für eine schöpfungstheologische Ehrlichkeit: „Gott ist nicht ein kosmologischer Uhrmacher, sondern er respektiert die menschliche Freiheit zum Guten und zum Bösen und Gott respektiert auch kritische eigene Kräfte der Evolution.“

Die Schöpfung ist deutlich von Gott unterschieden und hat eigene Gestaltungsfreiheit

Die Schöpfung ist deutlich von Gott unterschieden, so Professor Welker. Sie hat eine eigene Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit von ihm erhalten. Natur und natürliches Leben sind ambivalent, endlich und sterblich. Es lebt auf Kosten von anderem Leben. Dieses Leben macht die natürliche Seite der Schöpfung aus.

Aber: Gottes Geist will der Schöpfung gute Wege erschließen

Aber diese Schöpfung ist umgeben von Gottes Zuwendung: „Ein Geist, der vielgestaltig Trost gibt und der die vielen Formen des Hasses unter den Menschen offenbart, will der Schöpfung gute Wege erschließen und sie vor üblen Entwicklungen bewahren“, unterstreicht Professor Dr. Michael Welker. „Die Kraft des göttlichen Geistes umgibt uns und unsere Mitmenschen von allen Seiten, immer neu schöpferisch, aufrichtend, erneut Kraft und Lebensmut gebend. Wir müssen diese Kraft entdecken uns von ihr erfüllen lassen und selbst aktiv dazu beitragen, dass sie auch andere Menschen erreicht.“

 

Prof. Dr. Michael Welker

Zur Person

Professor Dr. theol. Dr. phil. Dres. h.c. Michael Welker ist Senior Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg und geschäftsführender Direktor des Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT) an der Universität Heidelberg  und Honorarprofessor an der Seoul Theological University. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften  und der Finnish Academy of Arts and Sciences.

 

Professor Welker hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, u.a. am Princeton Theological Seminary, am Center of Theological Inquiry, Princeton, an der Harvard Divinity School, der Cambridge Divinity School, UK, am Center for the Study of Law and Religion, Emory University. Er erhielt den Karl Barth Preis 2016 ) und hat die Gifford Lectures 2019/20 gehalten. Mit mehr als 350 Aufsatzveröffentlichungen ist er in Wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern vertreten; Professor Welker Autor oder Herausgeber von über 50 Büchern, in viele Sprachen übersetzt